21. Jan. 2019 Dreiviertel – art space

Die Erde ist ein Sinnbild von Wachstum. In ihr gedeiht Leben, in ihr wachsen Sprösslinge und diese Sprösslinge werden zu Bäumen und Blumen. Was passiert aber, wenn die Erde ausgenutzt wird? Sie wird trocken. Die Installation von Sven Widmer weist uns genau auf diese Problematik hin: Die Zerstörung der Natur in unserer modernen Gesellschaft. Er füllt das Fenster des Kunstraums Dreiviertel mit trockener Erde und verwandelt den Raum in eine Höhle, in ein in sich geschlossenes Universum. Von aussen kann man Formen im Fenster erkennen, dort wo die Erde sich ihren Weg gebahnt hat. Wenn man in diese Höhle eintritt, taucht man in eine andere Welt ein. In eine konstruierte, schöne Welt. Die Schönheit als Zerstörung, dies zeigt uns die Installation. An den weissen Wänden kleben hunderte von Lämpchen, die nach der Ausstellung weggeworfen werden. Ressourcen, weit weg vom Natürlichen und uns wird bewusst: Unsere Welt besteht aus Gegensätzen. „Die Betrachter verlassen die Installation und rennen lächelnd auf den Abgrund zu“, sagt Sven Widmer, ebenfalls lächelnd. Die Zerstörung der modernen Welt, die Zerstörung der Natur durch den Menschen und die Schönheit dahinter; dies sind die Themen, die den Künstler beschäftigen. Auf einem Regal im Raum stehen zarte, kleine Pflänzchen, an der Wurzel ausgerissen und schön präsentiert – eine morbide Schönheit, die sich auch hier wieder zeigt. Er zeigt uns nicht nur die Natur als Mythos, sondern auch als Ressource, die irgendwann zu Ende gehen wird. 

Die Performance zu der Installation bildet den Höhepunkt dieser mystischen und zerstörerischen Welt, die Sven sich und uns geschaffen hat. Die Sängerin „Leoni Leoni“ kauert auf einem Lammfell in der Mitte des Raumes, es ist finster. Der Künstler macht sich daran, geleitet von der Stimme und der Musik, alle Lämpchen im Raum anzuknipsen. Die Klänge sind meditativ, von draussen hört man einen Bus vorbeifahren, die Zuschauer*innen im Raum flüstern, manchmal rücken sie ihren Stuhl beiseite, wenn Sven sich seinen Weg durch die Lampen bahnt. Man gibt sich hin in die repetitive Performance, man wartet, man ist da, bewusst und doch abdriftend. Es ist wie ein archaisches Ritual, Urklänge die den Raum erfüllen und die Lichter, die immer heller werden. Ein Ertasten der Sinne, ein Erforschen der Welten, die zwischen uns liegen, so bewegt sich der Künstler durch den Raum – als suche er etwas im Verborgenen. Er streichelt die Lichter, er beobachtet sie, er gibt sich ihnen hin, während uns die Sängerin behutsam entführt. Die vielen kleinen Lichter sind wie Seelenlichter, die angeknipst werden, schon lange in Vergessenheit geraten. Die Energien der Zuschauer*innen erwärmen den Raum, eine feuchte Hitze entsteht, als wären wir tatsächlich in einer Höhle. Am Ende lassen die beiden Künstler uns zurück, zwei Zauberer in schwarz, in archaischen Klängen, Wärme und Licht. 

Sven Widmer erschafft mit seiner Installation ein ephemeres Universum. Auch die Performance war einmalig, aufgenommen von einer Kamera bleibt sie aber für die Betrachter*innen immer noch verfügbar, als Echo des Geschehenen so zu sagen. Dieses Erschaffen einer flüchtigen, kurzlebigen Welt, die genauso irritiert wie sie verzaubert, ist eine Antwort auf unsere Wahrnehmung und richtet den Blick auf Geschehnisse, die zwischen den Welten geschehen.

Text: Susanne Antoinette Grädel
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